"Ich stehe selbst nur als Krüppel an der Brücke zu einer vielleicht besseren Zukunft, die ich baue und zeige. Das war jetzt ein großes, hochtrabendes Bild, das du für die Überschrift verwenden kannst."
- Interview mit Epikur vom 21.04.2002 -
FT: Epikur, du hast uns (dem Fleischtomate-Team) zahlreiche Kolumnen geschickt, die Themenvielfalt ist groß. Wie bist du auf sie gestoßen?
Epikur: Ich habe einfach über alles geschrieben, was mir unter den Nägeln brennt.
FT: Was sollen die unsinnigen Kolumnen, beispielsweise über das "Sein und das Nichts"? Du kündigst da gleich zu Beginn des Textes an, dass das folgende Schwachsinn ist!
Epikur: Nichts, es mussten Kolumnen her, und ich brauchte erst den Flow, wie man so schön sagt.
FT: Du hieltest eine Laudatio auf Harald Schmidt und Helge Schneider. Sind das Vorbilder?
Epikur: Ich habe kein alleiniges Vorbild. Natürlich gehören Schmidt und Schneider, besonders Schmidt, neben Benjamin von Stuckrad- Barre und ganz besonders Christoph Schlingensief auf jeden Fall dazu. Doch es gibt viele Leute, die auch in gewissen Bereichen Vorbildfunktionen sein sollten.
FT: Welche noch?
Epikur: Keine Ahnung, mir fällt jetzt keiner ein, vielleicht später.
FT: Bist Du, der verwirrte, junge Mann als der Du jüngst in unserem Forum charakterisiert wurdest ?
Epikur: Ich glaube, das trifft zu. Ich bin eigentlich nicht in der Lage, mir mal ordentlich Meinungen zu bilden, dafür muss man auch Abstand haben. Das wurde im Zusammenhang mit Politik gesagt. Politisch bin ich fast nicht. Außerdem "muss man noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können", wie Nietzsche erkannte.
FT: Du verwendest eine sehr radikale Sprache und übertreibst. Deine Kolumnen sind unangemessen vernichtend und überheblich. Außerdem ziemlich anmaßend. Merkst du das überhaupt?
Epikur: Ja, ich weiß, aber ist nicht alles Kritisieren irgendwie anmaßend? Wenn ich große Behauptungen aufstelle, möchtegernlebensklug über Elemente der Kultur und des Menschen sinniere, erscheine ich als anmaßend. Ich trete als Psychologe und ähnliches auf, doch sind dies meine Eindrücke, gewonnen aus dem Alltag. Übertreibungen in Kritiken jeder Art machen Sinn. Sie unterhalten und provozieren. Unangemessen finde ich sie nicht, es macht Spaß, an etwas rumzunörgeln. Kritisieren heißt leben. Für mich sind Überheblichkeit und Sarkasmus übrigens Tugenden und Künste. Ein Kritiker gibt Meinungen ab, er soll nach Möglichkeit "klar Ja oder Nein sagen", wie Ranicki es formulierte. In so fern vernichtet er öfter mal.
FT: Du nörgelst mit Vorliebe an allem rum und schreibst vor, wie man sich zu verhalten hat. Du bist also perfekt.
Epikur: Ich bin Idealist, nur entspreche ich selbst nicht komplett diesen Idealen. Ich stehe selbst nur als Krüppel an der Brücke zu einer vielleicht besseren Zukunft, die ich baue und zeige. Das war jetzt ein großes, hochtrabendes Bild, das Du für die Überschrift verwenden kannst.
FT: Was sind das für Ideale?
Epikur: Ich rede von Freigeisterei im Sinne von Nietzsche. Christoph Schlingensief hat mal gedankliche Anarchie eingefordert. Das ist es eigentlich. Alles muss gedanklich bearbeitet werden dürfen, ohne Hemmungen. "Herr über seine Tugenden", sagte Nietzsche, nicht andersrum. Freigeisterei bedeutet auch, niemals Überzeugungen bauen zu wollen und sich jeden Moment selbst in Frage zu stellen. Deshalb ist für mich auch Zynismus gegen sich selbst die beste Charaktereigenschaft, die man erreichen kann.
FT: Aha. Im Forum von Fleischtomate erntetest du wenig positives Feedback. Sind das alles Idioten?
Epikur: Weiß ich nicht, es wäre möglich, vielleicht bin ich aber auch einer. Ehrlich gesagt malte ich mir schon vor den Veröffentlichungen aus, dass es wohl nicht die besten Kommentare werden würden. Aber das ist nicht schlimm, es unterhält mich. Ich kritisiere, sie kritisieren, wenn auch weniger ausführlich, dafür aber, ich will sagen, griffig formuliert. Doch was genau ihnen nicht passt, weiß ich nicht. Sie finden die Themen langweilig, doch ob sie sonst noch was zu bemeckern haben, weiß ich nicht. Ich könnte eine größere Lobby übrigens wegen meines Selbstwertgefühls gut vertragen und appelliere an dieser Stelle an die Nächstenliebe der anderen: Könnt ihr mich bitte in Zukunft mehr loben? Es würde mir entgegenkommen. Oder helft mir doch zu spannenderen Themen, gebt mir Tipps zum Schreibstil. Was kann ich besser machen? Helft!! Meine Verzweiflung frisst mich.
FT: Du zitierst Philosophen, verwendest viele Fremdwörter und schreibst über sehr intellektuelle Themen. Fühlst du dich dadurch toll und warum gehst du nicht zur "Zeit", sondern zu Fleischtomate?
Epikur: Ich weiß nicht, über welche Themen ich schreiben soll. "Das grüne Gold" wurde gelobt, " Bildung" und "Chili" weniger, doch mich interessieren und unterhalten diese Themen. Die ganze Aktion mit den Kolumnen war von Anfang an als Experiment gedacht, ich wollte mal sehen, wie die Reaktion sein wird. Ja, ich fühle mich toll, innerlich hole ich mir beim Schreiben immer einen runter und stecke mir einen Staubsauger in den Arsch. Die "Zeit" wollte mich nicht, ich sei zu oberflächlich. Fremdwörter verwende ich nicht viele. Ich bin Gegner vom Überhandnehmen der Fremdwörter, selbst kenne ich eigentlich nur sehr wenige. Sie versauen leicht mal den Text, dosiert sind sie o.k., doch zu viele wirken aufgesetzt. Ich finde meinen Stil nebenbei gesagt längst nicht ausgereift, ich muss noch viel üben. Mein Ziel ist Stuckrad- Barre.
FT: Bist du eigentlich selbst Kiffer?
Epikur: Ja und Nein. Ich bin jemand, der dadurch leicht mal ziemlich müde wird und lieber wortlos in komischen Gedanken schwelgt, von daher passt es nicht in jeden Augenblick. Außerdem ist mein Umfeld weniger daran interessiert. Aber auf ruhigen, größeren Sit- Ins (also lahme Privatpartys) ist mir schon mal danach, wenn es genügend Sitzmöglichkeiten, Getränke und bestenfalls auch Essen gibt, und ich nichts großes mehr vor habe. Aber ich gehöre eindeutig nicht zur absoluten Kifferfraktion.
FT: Wie wär's mal mit leichteren, alltäglicheren Themen, oder sind sie dir nicht gut genug?
Epikur: Doch natürlich, ich finde es gerade gut, wenn Banales ironisch ausführlich behandelt wird. Ich finde das unterhaltend, man denke nur an "Come on, Baby". Das ist alltäglich und so egal, wie kaum was anderes.
FT: Du hast das Amt des Chefkolumnisten bei Fleischtomate inne. Was sind deine Aufgaben?
Epikur: Meine Aufgaben sind Kolumnen schreiben, sonst nichts. Das Amt ist eine Scheinaufgabe, ich bin es, weil ich am meisten Texte veröffentlichen lasse. Aber ich verbinde damit den absoluten Stolz... Auf der Seite werden oben Zitate aus meinen Texten genommen- ziemlich lässig. Auch der grob geplante Promi- Chat mit mir ist sehr lustig.
FT: Wie stehst du zur O.g.w.D.?
Epikur: Ich kenne keine lässigere Organisation. Ich habe ihre Entwicklung verfolgen können, sie ist mir unbedingt sympathisch. Ich sehe sie als Aktionskunst, als Frage an die Gesellschaft: Wie reagiert ihr?, außerdem ist sie Satire auf alle überemanzipierten Kampfschachteln. Und dann ist sie auch wieder überhaupt nicht so ernst, wie ich eben angefangen habe- einfach cool. Über die O.g.w.D. habe ich auch schon etwas geschrieben, es wird bald auf der Seite zu finden sein oder es ist schon, da bin ich im Moment nicht sicher. Die Kolumnen liegen ja immer in der Chefetage von Fleischtomate und werden nach und nach veröffentlicht.
FT: Was können wir in Zukunft von dir erwarten?
Epikur: Mal sehen, ich hoffe mir gehen die Themen und der Spaß nicht aus, zumindest ersteres befürchte ich, andere würde es wohl erfreuen. Es kommen noch bereits fertiggestellte Kolumnen jeder Art in nächster Zeit, danach mal sehen. Ich hoffe auf mehrere Schreiber, und wenn sie nur darüber schreiben, wie schlecht ich bin, Hauptsache, es gibt mehr Kolumnisten. Einer hat sich ja schon als solcher probiert und eine Antwort auf meinen Text "Hip Hop" geschrieben. Er hat mit Oberflächlichkeit zurückgeschossen, auch nur allgemein angedeutet, was er scheiße fand. Aber ist o.k., meine Kolumne war ja auch längst nicht ausführlich.
FT: Ich bin mal gespannt, wann deine Identität endgültig auffliegt oder Du sie selbst preisgibst. Danke, wie sich das für mich an dieser Stelle gehört, für dieses Gespräch.
Epikur: Ja, bitte, bitte, immer gerne.